Zu Besuch in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung“

Erstellt von Béatrice Smolka und Felix Bjerke |

Abends um 21 Uhr ging es los: 30 Oberstufenschülerinnen und -schüler vom Apostelgymnasium, Genoveva-Gymnasium und Dreikönigsgymnasium machten sich zusammen mit sechs Lehrerinnen und Lehrern aus den drei Gymnasien auf den Weg nach Polen – Ziel war das kleine niederschlesische 200-Einwohnerdorf Krzyżowa (Kreisau) bei Świdnica (Schweidnitz) in Polen, dem Sitz der Internationalen Jugendbegegnungsstätte des deutsch-polnischen Jugendwerks, bedeutender Erinnerungsort an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Polen und Gedenkstätte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

Nach zehn Stunden Nachtbusfahrt hielten wir zunächst noch in Deutschlands östlichster Stadt, in Görlitz (Sachsen), direkt an der Grenze zu unserem Nachbarstaat Polen gelegen. Die Bäckereien hatten schon geöffnet und nachdem wir gefrühstückt hatten, startete auch schon unsere morgendliche Stadtführung durch die wunderschöne Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg von Zerstörungen fast völlig verschont geblieben war. Unser Stadtführer machte 500 Jahre europäischer Baugeschichte erlebbar und zeigte uns gutgelaunt bei strömendem Regen und scharfem Wind immer noch schönere, größtenteils aufwändig sanierte Bauten verschiedenster Epochen – von Gotik, über die Renaissance bis zum Barock und dem Jugendstil. Mitunter schlotternd folgten wir ihm und stellten uns vor, um wieviel schöner alles bei Sonnenschein wäre. Wie gut, dass es im Bus warm war.

Pünktlich zum Mittagessen erreichten wir dann die Jugendbegegnungsstätte Krzyżowa (Kreisau), ungefähr 60 km südlich von Wrocław (Breslau) gelegen, die in den Gebäuden des ehemaligen Gutes der Adelsfamilie von Moltke untergebracht ist. Bis 1945 noch zum Deutschen Reich gehörig hatten sich hier seit 1940 Mitglieder einer Gruppe von Oppositionellen gegen Hitler um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Yorck zu Wartenberg getroffen. Auch Moltkes Ehefrau, Freya von Moltke gehörte der Gruppe an. Sie ist in Köln geboren und zur Schule gegangen, später in Köln und Berlin Jura studiert, bevor sie ihren Mann kennenlernte und mit ihm nach Kreisau zog. 1998 wurde in dem ehemaligen und jahrzehntelang vernachlässigten Gutshof die deutsch-polnische Jugendbegegnungsstätte eröffnet und wie alle anderen Gäste auch wohnten wir die nächsten zwei Tage in den umgebauten ehemaligen Stallungen des Gutshofes. Zwei Tage beschäftigten wir uns intensiv mit dem „Kreisauer Kreis“, wie die zivile Widerstandsgruppe in den Ermittlungsakten der Gestapo genannt wurde und deren führende Mitglieder nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler 1944 hingerichtet wurden – sie hatten gewagt darüber nachzudenken, wie ein Deutschland nach Hitler aussehen könnte.

Unsere Workshops fanden im Schloss statt und so hielten wir selbst uns in den Räumen auf, in denen die Mitglieder des Kreisauer Kreises zusammengekommen waren. Das war sehr beeindruckend. Von hier aus zogen die Themen, mit denen wir uns auseinandergesetzten, räumlich und zeitlich immer weitere Kreise – wir diskutierten ausgehend vom Widerstand des Kreisauer Kreises darüber, was für uns heute „Widerstand“ bedeutet, was „Versöhnung“ und was die Auseinandersetzung mit dieser, unserer Geschichte für die Zukunft bringen, ob und wie und was Neues wachsen kann. Hier ging es nicht nur um die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen, sondern auch um die Entwicklung Europas und den Beitrag Europas für eine friedliche und gerechte Welt – besonders beeindruckend in diesem Zusammenhang auch die Freilichtausstellung „Mut und Versöhnung“ im Schlosshof, die unser Thema am zweiten Vormittag war. Angelegt in Form eines Labyrinths, durch das wir als BesucherInnen schritten, konnten wir im Gehen nachvollziehen, wie kompliziert, verschlungen und scheinbar ausweglos und tragisch die Wege der gegenseitigen deutsch-polnischen Beziehungen waren; hatte man jedoch einen Weg gefunden, so wurde man in eine Art Amphitheater geleitet. Hier konnten wir uns zusammen gut austauschen - geschützt vor der Vergangenheit mit Blick in die weite offene Landschaft (der Zukunft?). Der Fokus an diesem geschichtsträchtigen Ort lag aber nicht nur auf Vergangenheit und Zukunft, sondern auch ganz konkret auf der Gegenwart, denn mit nächtlicher Party und Kicker- und Tischtennisspiel im Gewölbekeller des Schlosses, kleinen polnischen Sprachübungen, leckeren und frisch zubereiteten polnischen Mahlzeiten aus der hauseigenen Gutsküche und unseren beiden sympathischen workshop-Leitern ging es uns allen sehr gut.

Nach dem Mittagessen ging es dann zurück Richtung Breslau (Wrocław), nicht aber ohne einen Zwischenhalt in Świdnica (Schweidnitz) einzulegen und die größte Fachwerkkirche Europas und eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Schlesien, die evangelische Friedenskirche Zur heiligen Dreifaltigkeit zubesichtigen – man ahnt nicht, dass die Ausstattung des riesigen Innenraums der Holzkirche, die sogar auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO steht, gänzlich im Stil des Barocks gehalten ist: Haupt-, Seitenschiffe und Emporen sich prächtig bemalt und reichlich goldbeschmückt und verziert. Sehr beeindruckend.

In Breslau (Wrocław) angekommen stellte sich wieder (Dauer-)Regen ein, was aber unsere Stadtführerin nicht davon abhielt schnellen Schritts voranzugehen, uns „ihre“ Stadt zu zeigen und für diese moderne Universitätsstadt, 2016 sogar Kulturhauptstadt Europas zu werben. Sie erzählte uns, dass die mehrheitlich deutsche Bevölkerung nach Ende des Zweiten Weltkrieges gänzlich ausgewechselt wurde, sich polnische Flüchtlinge aus Zentralpolen und den an die Sowjetunion gefallenen Landesteilen ansiedelten und diese kulturelle Vielfalt die heutige Attraktivität der Stadt mitbegründet habe. Wir schlenderten über den mittelalterlichen Marktplatz in der Mitte der Fußgängerzone, bewunderten das gotische Rathaus mit seinen Wurzeln im 13. Jahrhundert und wurden auf architektonische Kleinigkeiten aufmerksam gemacht, um den Unterschied zwischen nicht zerstörten und zerstörten, aber original getreu wiederaufgebauten Gebäuden zu erkennen. Es war Samstagabend, die Innenstadt war voller junger Menschen – viele von ihnen in Halloween-Kostümen – und genauso wie wir auf der Suche nach Restaurant, denn uns knurrte inzwischen der Magen. Da wir nur in kleinen Grüppchen eine Chance auf einen Restaurantplatz hatten, vertagten wir unseren gemeinsamen Restaurantbesuch und verbrachten den Abend in schulübergreifenden Formationen. Noch einmal Schlafen – dieses Mal in einem ehemaligen Nonnenkloster mit wunderschön restauriertem Kreuzgang – dann ging es am Sonntag nach dem Frühstück wieder zurück nach Köln. Sanft und sicher schaukelte uns unser Busfahrer die 800 km nach Hause. Weder Schüler und Schülerinnen noch Lehrerinnen und Lehrer hatten ein Problem, die vielen Stunden sinnvoll zu nutzen: wir unterhielten uns – natürlich über die Reise und alles, was durch sie angestoßen wurde.

Wir danken den Stiftern und Förderern des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, ohne deren Unterstützung diese besondere Reise und die damit verbundenen Erfahrungen nicht möglich gewesen wären.

Zurück